Großvater

Als die neue Maschine aufgestellt wurde, legte mein Großvater, der damals schon lange Eugen Barta hieß, die Zeitung weg, aus der er die Neuigkeit erfahren hatte, sah mich an – ich spielte auf dem Fußboden –, rief dann die Großmutter und sagte, als sie folgsam mit abgetrockneten Händen und ihrem Interesse, das sie immer zeigte, wenn sie gerufen wurde, aus der Küche gekommen war: „Sie haben die Maschine aufgestellt“. Meine Großmutter nahm diese Information entgegen wie alle Informationen, die ihr mein Großvater zukommen ließ, bedrückt, als wäre jeder Satz eine Prophezeiung des Heiligen Johannes, und erschüttert, als hätte sich diese Prophezeiung erfüllt. Aber ich nahm das nicht wahr, ich saß über meinen Bausteinen aus Ton, mit denen schon der Vater meines Großvaters gespielt hatte und die meine Großmutter mit Eiklar klebte, wenn sie beim Spielen brachen, weil ich einen Turm gebaut hatte, der durch eine Erschütterung des Fußbodens hingestürzt war, hervorgerufen durch einen schweren Lastzug, der am Haus sich vorbeiquälte. Diese Steine wurden nach jedem Spiel von meiner Großmutter eingesammelt und in eine altmodische Spanschachtel verstaut, die brüchig war, nur von meiner Großmutter angefasst werden durfte und auf ihrem Boden eine papierene vergilbte Vorlage trug, auf der die Anordnung der Steine verzeichnet stand, nach der sie in die Schachtel zu verstauen waren, ein Ritual, das mir damals meinen bis in s hohe Alter bewahrten Sinn für Ordnung weckte.

Und über diesen Steinen, versunken hingekauert mit den halbwachen Sinnen eines vom Spiel betäubten Kindes, hörte ich meinen Großvater meine Großmutter rufen, von der Maschine sprechen, was mich aus dem Spiel auftauchen ließ, hörte, dass er in der fremden Sprache weiter sprach, von der ich erst viel später erfuhr, dass sie italienisch war, und erhob mich. Immer, wenn mein Großvater so sprach, wusste ich, dass wir ausgehen würden. Er liebte es, mich mit dem Ausgehen zu überraschen, da er der Überzeugung war, ich würde gerne mit ihm durch die Stadt gehen, und so hüllte er die Vorbereitungen in die fremde Sprache, die mir auf diese Art zum Zeichen wurde, wie einem Hund der Griff des Herrn nach der Leine zum Zeichen wird. Meine Großmutter kämmte mich und setzte mir gegen die Sonne die Mütze auf, die mir mein Großvater, kaum wir um die Ecke gebogen waren, abnahm und achtlos in die Außentasche seines Sakkos knüllte.

Wir bestiegen die Tramway, deren Linie erst vor Kurzem eröffnet worden war und in die Nähe der Wohnung meiner Großeltern führte. Mein Großvater muss damals schon alt gewesen sein, aber es dauerte dann noch eine Zeit, ehe er seinen Namen zum zweiten Mal änderte und als Jakob Kimarek weiterlebte, wobei er mit dieser Namensänderung auch aufhörte, italienisch zu sprechen. Aber damals bestiegen wir die Tramway und fuhren nach dreimaligem Umsteigen in ein Viertel, das ich noch nie gesehen hatte. Der erste Eindruck war der der Finsternis, des Rußes, der Armut, aber auch der Großzügigkeit der Anlagen, und dass alles seltsam altertümlich aussah, und erst später erfuhr ich, dass mein Großvater lange Zeit seines Lebens in dieser Gegend verbracht hatte.

Er war zu einer Zeit geboren worden, als der alte Kaiser noch lebte und herrschte, und sein Vater hatte seiner Mutter lange Zeit nicht verziehen, dass sie ihr Kind zwei Tage nach dem offiziellen Geburtstag des Kaisers zur Welt gebracht hatte. Er hatte auf ein Zusammenfallen der beiden Geburtstage gehofft, schmollte, als die Verspätung unwiderruflich feststand, und erklärte in seinem Zorn: „Dann hätte es auch ein Mädchen sein können.“ Er berührte seine Frau zwei Jahre nicht, was sie zunächst mit Erleichterung quittierte ebenso wie die Tatsache, dass er mit ihr nur das Allernotwendigste sprach. Da sich der Vater meines Großvaters aber weigerte, das Kind taufen zu lassen, begann meine Urgroßmutter an seinem Menschenverstand zu zweifeln, sagte: „Er soll haben, was er will, wenn das Kind nur später selig wird“, und bestach einen Standesbeamten, der sich bereit erklärte, das unglückliche Ereignis um zwei Tage vorzudatieren. Da auf diese Art der kaisertreue Ruf der Familie und das häusliche Glück wieder hergestellt waren, konnte das Kind auf den Namen des Kaisers getauft werden und, als es heranwuchs, in die Devotionalienhandlung der Familie eintreten.

Als der erste Krieg ausbrach, zog mein Großvater in s Feld, während sein Vater das Geschäft um ein Beträchtliches erweiterte, indem er einen Staatsauftrag für Leichenbegängnisse an Land zog. Als der Krieg verloren war, wäre mein Urgroßvater ein gemachter Mann gewesen, hätte nicht der Tod des Kaisers, wenige Tage nach Unterzeichnung des Friedensvertrags, das Land in die Wirren eines Bürgerkriegs gezogen. Da das Geschäft von Republikanern geplündert worden war, machte mein Großvater den Bürgerkrieg an der Seite der Royalisten mit und verlor ein zweites Mal eine bewaffnete Auseinandersetzung. In dieser Zeit starben auch seine Eltern: der Vater an gebrochenem Herzen wegen des Untergangs des Kaiserreichs, die Mutter an der materiellen Not wegen des Verlusts des Broterwerbs.

Als die Republikaner die Ordnung in ihrem Sinn herstellten, floh mein Großvater in s neutrale Ausland, um den Massakern zu entgehen. Als er feststellen konnte, dass die bevorzugten Opfer der Massaker nicht mehr die Kaiserlichen, sondern die radikalen Verbündeten der Republikaner waren, änderte er seinen Namen und kam in die Heimat zurück, die allerdings für seine kindliche und passive Vaterlandsliebe kein Verständnis aufbrachte und ihn durch blanke Armut zwang, mit anderem Lumpenpack in der Fabrik zu arbeiten. Als die Arbeiter eines Tages wegen gewisser Unregelmäßigkeiten in der Abwicklung der Geschäfte streikten, sah mein Großvater seine Stunde gekommen. Als ehemaliger Buchhalter und Compagnon der väterlichen Devotionalienhandlung verstand er zu viel von der Materie, um nicht der Versuchung zu unterliegen, die Eigentümer der Fabrik auf seine Weise zu erpressen. Das Ergebnis gut und verschwiegen geführter Verhandlungen war die Kündigung meines Großvaters, die Einrichtung eines wohl ausgerüsteten Werkschutzes und die Wiederaufnahme meines Großvaters, der nun dem Werkschutz vorstand. Dann kam wieder Bürgerkrieg, den mein Großvater gewann, dann Krieg, den er verlor, und dann endlich die schönste Zeit im Leben meines Großvaters. Nach dem Krieg wurden überall nationale Versöhnungskomitees gegründet, um einem neuerlichen Bürgerkrieg vorzubeugen. Mein Großvater wurde Mitglied des Fabriksversöhnungskomitees in seiner Eigenschaft als mit Arbeiterunruhen erfahren, denn die rohe und ungebildete Belegschaft musste zur Versöhnung und zum Wiederaufbau erst angehalten werden. Als die Versöhnung so vollkommen war, dass dieser Begriff seinen bedrohlichen Inhalt verloren hatte, konnte sich das Fabrikskomitee endlich Direktion nennen und mein Großvater ging fünfzehn Jahre später als Geschäftsführer mit Direktorengehalt in den hoch bezahlten und wohl auch verdienten Ruhestand.

Und nun standen wir vor der Fabrik, sahen die Menge, die das Fabrikstor angaffte, die breite Lücke neben dem Tor, durch die die Maschine in s Innere geschafft worden war, wir sahen den Werkschutz, der die Lücke bewachte, um Unbefugte daran zu hindern, Blicke in s Innere des Geländes zu werfen, wir sahen die Polizisten, die mit ihren Sprechfunkgeräten sich routiniert und gleichsam unbeteiligt um die Menge verteilten, wir sahen die Arbeiter, die in der Nähe der Lücke riefen und gestikulierten, bis ihr Treiben Gestalt annahm und alte Drehbänke, Instrumente und Werkzeuge und Unmengen von Tischen und Stühlen durch die Lücke in der Umfassungsmauer befördert und auf Lastzüge verladen wurden. Mein Großvater drängte durch die Menge, zog mich stumm mit sich, bis wir die Bresche erreicht hatten, zeigte den Bewaffneten und Uniformierten vom Werkschutz seinen alten Ausweis, hob mich über das Gerümpel und den Schutt zwischen den Mauerstücken und betrat das Innere, vorbei an den Arbeitern, die die alte Einrichtung nach draußen schafften. Drinnen betrat mein Großvater das Verwaltungsgebäude, nachdem wir über den Hof gegangen waren, ohne dass er jemanden gegrüßt hätte, er stieg über unzählige Stiegen, ging durch Gänge, noch immer ohne zu grüßen, drang in Räume ein, deren Belegschaft er ignorierte, bis er ein riesiges Büro erreicht hatte, wo er, noch immer grußlos, sich vor ein großes Fenster pflanzte, das auf die neuen Fabriksgebäude ging, und hinausstarrte. Ich verstand nicht viel von dem Treiben unter uns und war über die Sprachlosigkeit meines Großvaters verärgert. Er, der mir sonst immer alles auf die liebenswürdigste Art erklärte, durchsetzt mit schrulligen Anekdoten, deren Pointen er gerne wiederholte, um noch einmal in den Genuss des Lachens zu kommen, war stumm. Selbst als ein offenbar wichtiger junger Herr mit einem weißen Arbeitsmantel und einem Namensschild auf dem Revers zu uns trat, verbindlich lächelte und einige Worte sagte, fuhr ihn mein Großvater grob an: „Seien Sie still! Sie verstehen nichts davon! Verstehen Sie?“

Derweilen stand unten die Maschine, ein riesiges Ding aus glitzerndem Material voll Energie und Kraft und funkelnd, bedrohlich mit Armen, die alles zu erreichen schienen, aber von einer beruhigenden schönen Farbe, und um diese Magie aus Farbe und Strom wurde in aller Eile aus fertigen Teilen ein Gebäude errichtet, das innert dreier Stunden zur Dachgleiche gediehen war. Ich kauerte am Fenster, fasziniert von der Geschwindigkeit, mit der das Gebäude aufgerichtet wurde, während andere Arbeiter das alte Fabrikshaus leerten, was viel langsamer vor sich zu gehen schien. Hingerissen von den zwei verschiedenen Rhythmen der Zeit versank ich ganz im Blicken, bis mich mein Großvater an der Hand fasste und das Büro verließ. Als wir über den Hof gingen, sagte mein Großvater: „Das möchte ich mir noch anschauen, was daraus wird.“ Auf dem Weg zurück war er dann wieder der liebe alte Mann, den ich kannte, und niemand merkte auch nur das Geringste davon, dass er besessen war.